Mittags (fast) mitten in der Hauptstadt:
Die Finger wollten eine Pause vom Zeichenstift und ich eine Tasse Inspirations-Tee – als ich auf dem Weg zur Küche eine kleine tote Schlange im Flur fand.
Eine SCHLANGE.
Wir haben drei Katzen – und so bin ich es schon gewöhnt, dass selten mal eine gehäutete Maus oder ein altersschwacher Vogel angeschleppt wird (zum Glück sind zwei unserer Katzen vollkommen jagduntauglich und die einzige jagdfähige Katze hat schon ein beinahe methusalemisches Katzen-Alter erreicht). Aber diese Schlange überraschte mich nun doch sehr.
Ehrlich gesagt war ich ratlos, aber ich wollte die kleine, offensichtlich verletzte und tote Schlange mit weit aufgesperrtem Mäulchen gerne aufbewahren, bis die Kinder aus der Schule kämen.
Wo nun aber hin mit der toten Schlange (mit der geringen Ahnung, dass sie vielleicht noch nicht mausetot war), ohne dass sie von den Katzen angeknabbert würde? Auch nach ein bisschen Anstubsen bewegte sie sich nicht mehr und so legte ich sie kurzerhand in einen leeren Kochtopf, den ich in den (ausgeschalteten) Backofen stellte.
Es ist etwas schwer, hier bei uns Dinge vor den Katzen zu verstecken, weil sie – egal welchen Alters – Meister im Öffnen von Türen, Schränken und auch Kühlschränken sind. Weshalb wir u.a. eine Kindersicherung an unserem Kühlschrank haben.
Gut, Schlange im Backofen. Tee gekocht, weiter an den Zeichentisch.
Als der Sohn nach Hause kam, freute ich mich schon, ihn überraschen zu können. Ich habe ihm nichts verraten, öffnete nur die Backofentür und deutete mit vielsagendem Blick in den Topf.
Vielleicht ahnt ihr es schon – der irritierte Blick des Sohnes ließ mich selbst in den Kochtopf schauen.
Und der war natürlich: Leer.
Ich bin gar nicht schlangen-ängstlich. Aber so ein klitzekleines bisschen kann man sich schon erschrecken, wenn man weiß, dass irgendwo nun eine Zombie-Schlange wartet (auch wenn es sich nur um einen Ringelnatter-Zombie handelt).
Der Sohn war ganz mutig und suchte gleich los – und so fanden wir sie ganz schlangenmäßig zusammengerollt hinten auf dem Backrost hängend, scheinbar entspannt schlafend. Der Sohn belehrte mich, dass Schlangen sich in Gefahrensituationen auch schon mal tot stellen. Tja – und da ist das dumme Mütterchen glatt drauf reingefallen :-). Ist übrigens exakt so beschrieben bei Wikipedia unter Abwehrverhalten – also nicht jede Ringelnatter, die tot erscheint, ist es auch.
Dort konnte das Schlänglein nun nicht bleiben – auch weil der Gemüseauflauf langsam in den Ofen sollte.
Ohne Fleischeinlage :-)
Also zog die Kleine in unsere Salatschüssel, mit etwas feuchtem Moos schlangengemütlich ausgekleidet und in unsere Badewanne gestellt, in der es nun eine kleine Pfütze für das Wohlbefinden des Schlängleins gab.
Am Liebsten hätten die Kinder die Schlange behalten – ganz klar.
Zu süß züngelte das Zünglein, hob sie ihr Köpfchen und ruhte sich in den Händen des Sohnes aus.
Aber abgesehen von der Unmöglichkeit, ihr ein artgerechtes Zuhause in einem Terrarium zu bieten, ist es auch schlichtweg verboten, Ringelnattern zu behalten. Denn sie gehören zu einer gefährdeten Art.
Der künstlich angelegte Teich meiner Schwester wäre ein mögliches Schlangenheim gewesen – aber eben auch im Einzugsbereich von allerhand gelangweilten Katzen der Umgebung – und diese Ringelnatter war eindeutig noch ein recht junges Exemplar und somit auch eine leichte Beute.
Also blieb sie noch ein bisschen in der Salatschüssel und abends brachten wir sie zum kleinen Waldsee – weit weg von den Vorstadtkatzen.
Die Kinder verabschiedeten sich schweren Herzens – wahrscheinlich fiel der kleinen Schlange (sie wurde Henry getauft) der Abschied leichter.
Bei den Kinder flossen schon so ein, zwei Abschiedsschmerz-Tränchen.
Ich rate eigentlich eindringlich von zu viel Schlangenbefummlerei ab, denn Ringelnattern sind extrem scheu und diese Anfassereii setzt sie unter Stress.
Andererseits bin ich froh, dass die Kinder solche Erlebnisse haben können und Empathie auch für auf den ersten Blick nicht so kuschelig-süße Tierchen wie Kaninchen entwickeln.
Und sie somit lernen, wie wertvoll und schützenswert jedes Leben ist – dass eben auch eine kleine Ringelnatter es wert ist, sie zu retten und zu einem artgerechten Zuhause zu bringen.
Ich habe mir Henry zum Schluss noch einmal ganz genau angeschaut – und da war keine einzige Wunde mehr zu sehen. Wirklich erstaunlich, wie schnell Schlangenhaut heilt.
Sobald Henry ins Wasser gesetzt war, schoß er von dannen, dass es eine Freude war. Ich schwöre euch – ich hörte einen kleinen Schlangenjuchzer.
Morgen besuchen wir das Schlangenkind wieder – vielleicht sehen wir es ja fröhlich durchs Wasser schlängeln.